Theater Narrenschiff

28/02/20

BACK IN BERLIN - 10 Jahre Tilla Günspan

Tilla Grünspan hat dieses Jahr zehnjähriges Bühnenjubiläum – herzlichen Glückwunsch!

Am 28.03.2010 schlüpfte Nils Jacobi erstmals in „LILA“ in die grünen Roben der Grand Dame der gehobenen Unterhaltung! Und schon damals stand an seiner Seite Lilja Kopka als Ruth Löwenstein, Tillas jüdische Garderobiere und beste Freundin! Was zuerst als einmalige Sache gedacht war entwickelte sich zu einer ganz eigenen kleinen Erfolgsstory. Zwei weitere Abende und eine Reihe von Konzertauftritten im Schalender der Lindenbrauerei, sowie etliche Specials und Gastauftritte der TN-Kultfigur Tilla Grünspan folgten. 10 Jahre und kein bisschen leiser, treten die beiden derzeit zusammen in ihrer Jubiläums Revue „Back in Berlin“ zusammen auf. Ein Prosit auf zwei starke Freundinnen auf der Narrenschiff-Bühne!

Grund genug für uns, die letzten 10 Jahre noch einmal Revue passieren zu lassen. Katalina Kopka hat die beiden zum Interview gebeten.

Katalina: Kinder, wie die Zeit vergeht! Schon 10 Jahre spielt ihr die beiden Bühnenfiguren. Wie ist die ‚tolle Tilla‘ entstanden? Und wie kam es zum ersten Bühnenstück?

Lilja: Nils hatte die Idee dazu und sprach mich an – ich weiß noch genau, dass war während einer Probe zu „Macbeth“ im Lichtkunstzentrum, also 2009.

Nils: „LILA“ entstand weil ich damals unbedingt einen Abend über Homosexuelle während des Dritten Reiches machen wollte. Mir erschien diese Seite der Geschichte erschreckend unterrepräsentiert.

Lilja: Ich war fasziniert von der Idee, weil ich diese Zeit der deutschen Geschichte auch sehr spannend finde.

Nils: Ausserdem ist die Musik dieser Zeit einfach grossartig.

Erste Promotion Fotos (2010)

Katalina: Ruth Löwenstein ist als treue Freundin und Garderobiere nicht von Tillas Seite wegzudenken. Wie wurde die Figur Teil von Frau Grünspans Welt? Und wie hat sich Ruth im Laufe der Jahre entwickelt?

Lilja: Zunächst mal wurde Ruth auch von Nils mit konzipiert und geschrieben. Aber nachdem dann die erste Übertragung vom Papier auf die Bühne passiert war, hat sich Ruth noch sehr weiterentwickelt. Auch durch die vielen Konzerte im Schalander. Da haben wir immer sehr viel improvisiert, sodass mittlerweile auch mehr von mir selbst in Ruth steckt. Ich denke man kann auch sagen das Ruth über die Jahre erwachsen geworden ist.

Nils: Ruth war von Anfang an als etwas ernsterer Gegenpart zur eher flatterhaften und unpolitischen Tilla gedacht.  Sie hat sich aber in den Jahren und durch Geschehnisse, die in den Stücken nur angerissen werden, von einem schüchternen Mädchen zu einer selbstbewussten und starken Frau entwickelt.

Lilja: Und das Verhältnis zwischen Tilla und ihr hat sich gewandelt.  

 

Katalina: Theaterproduktionen sind ja bekanntlich sehr intime, emotionale und intensive Erfahrungen für alle Beteiligten. Wie war es für euch, über so einen langen Zeitraum zusammenzuarbeiten und gemeinsam auf der Bühne zu stehen?

Lija: Ich glaube das hat nur deshalb so gut funktioniert, weil wir uns auch privat gut verstehen. Es hat auch viel mit Vertrauen zu tun: Ich Vertraue Nils Ideen, die meist am Anfang der Stückentwicklungen stehen, und er vertraut meiner konstruktiven Kritik. Und irgendwie stecken Tilla und Ruth immer in uns drin, wenn wir aufeinandertreffen, die kann man nicht mehr abschütteln.

Nils: Ich hab so eine intensive und vor allem langfristige Zusammenarbeit vorher noch nie erlebt. Vor 10 Jahren kannten Lilja und ich uns eigentlich kaum.Inzwischen haben wir zusammen viel erlebt und auch die Figuren zusammen weiterentwickelt. Wir gaben uns gegenseitig Feedback und haben auch während der Proben und Vorstellungen Ideen gehabt und teilweise improvisiertes in Tilla und Ruth einfliessen lassen.

Katalina: Das erste Programm „LILA – Ein Abend mit Tilla Grünspan“ spielte im Berlin der wilden Zwanziger. Was fasziniert euch an dieser Zeit?

Nils: Die zwanziger Jahre in Berlin waren eine stark abwechslungsreiche Zeit, geprägt von starker Armut aber auch dem Willen das Leben zu geniessen. Dazu kamen die politische Ereignisse die den Begriff des „ Tanz auf dem Vulkan“ so treffend werden lassen. Die Künstler*innen dieser Zeit haben das perfekt eingefangen. Wunderbare Melodien, ausgefallene Texte und eine unterschwellige Aufmüpfigkeit und auch Erotik in allem. Es war alles so modern und entwickelte sich so rasch. Bis durch die Machtergreifung der Nazis alles plötzlich wieder stagnierte.

Lilja: Ich glaube dieses Bild des „Tanz auf dem Vulkan“ trifft es sehr gut. Es war eine Zeit extremer Unruhen und Unsicherheiten, es brodelte unterschwellig. Oberflächlich versuchte man mit Feiern und Exzessen die Traumata des ersten Weltkrieges zu verarbeiten. Kulturell ist es einfach eine extrem spannende Zeit, gerade auch in Deutschland.

Lilja Kopka und Nils Jacobi in LILA - Ein Abend mit Tilla Grünspan, 2010

Katalina:„LILA“ bestand vor allem aus Songs von Komponisten wie Friedrich Hollaender, Rudolf Nelson und Mischa Spoliansky. Was macht für euch den besonderen Charme dieser Lieder aus?

Lilja: Sie erzählen so gut! Mit jedem Lied taucht man in eine eigene Welt ein und die Texte sind oft richtig witzig oder doppeldeutig oder wunderbar melancholisch.

 

Katalina: „LILA“ hatte neben jeder Menge eingängiger Songs auch eine starke politische Botschaft. Wie bringt ihr in euren Programmen Kunst und Politik zusammen?

Nils: Das was zu der Zeit in der die Stücke spielen geschehen ist,  ist ja hinlänglich bekannt. Wir haben immer versucht einen Einblick in das Leben zweier Menschen aus diese Zeit zu geben die beide am Rande der Gesellschaft stehen, Ruth ist Jüdin und Tilla ein homosexueller Mann in Frauenkleidern. Dadurch das man einen Einblick in ihre Leben erhält bekommt das Publikum auch ein Gespür wie es ist in Bedrängnis zu geraten und trotzdem zu sich selbst zu stehen.

Katalina: „Koffer in Berlin“ spielte dann zwanzig Jahre nach „LILA.“ Die Fünfziger-Jahre waren eine Zeit, in der die Schrecken des Krieges und der lange Schatten des Faschismus zwar noch deutlich zu spüren waren, in der die junge Bundesrepublik gleichzeitig aber auch mit aller Macht in eine neue Zukunft strebte. Wie habt ihr es in diesem Liederabend geschafft, die Balance zwischen Wirtschaftswunder-Optimismus und Kriegstrümmern zu finden?

Nils: Hier war es tatsächlich für uns wichtig zu wissen, was unsere Figuren während des Krieges durchgemacht hatten. Das im Hinterkopf zu haben lässt einen die fröhlichen Lieder der 50er etwas anders interpretieren. Ich bin nicht sicher ob das Publikum das so stark wahrgenommen hat, aber für uns war das ein riesiger Unterschied.

LIlja: Ich war tatsächlich anfangs skeptisch ob es gelingt, merke aber an den Publikumsreaktionen das uns dieser Spagat tatsächlich gut geglückt ist. Es sind die Momente des Innehaltens zwischen den witzigen Schlagern, also wenn einem das Lachen im Hals steckenbleibt, die „Koffer in Berlin“ ausmachen.  

Lilja Kopka & Nils Jacobi in KOFFER IN BERLIN

Katalina: Zwischenzeitlich sind Tilla und Ruth auch häufiger im Schalander aufgetreten, sozusagen als tingelnde Theken-Unterhaltung. Was sind für euch Vorzüge von diesen konzertanten Auftritten? Inwiefern unterscheiden sie sich von den Liederabenden, die ihr im theater narrenschiff aufführt?

Nils: Die konzertanten Auftritte sind flexibler und spontaner, es gibt keine grossartig vorgeschriebenen Texte, vieles ist improvisiert und entwickelt sich durch das Spiel mit dem Publikum.

Lilja: Die Nervosität ist größer! Zumindest bei mir, weil man noch näher am Publikum dran ist, und man sich nicht im Scheinwerferlicht ‚verstecken‘ kann. Aber das hat die Abende auch ausgemacht; sie waren unmittelbarer, spontaner. Und wenn der gesamte Schalander bei „Lili Marleen“ mitsingt, dann ist das ein wirklicher Gänsehaut-Moment.

EIN ABEND MIT TILLA GRÜNSPAN im Schalander der Lindenbrauerei, 2012

Katalina: Im dritten Programm „Tilla und Ruth Löwenstein in New York“ singt ihr beiden auch viele englische Lieder. Wie kam es dazu? Und macht es für euch einen Unterschied, in welcher Sprache die Liedtexte verfasst sind?

Nils: Wir hatten beide mal Lust auf einen Abend mit englischsprachigen Songs und suchten einen Grund warum die Grand Dame der gehobenen Unterhaltung das tun sollte. Also liessen wir sie, wie andere Grössen dieser Zeit, ein englischsprachiges Album aufnehmen. Somit war die Grundlage für ein Silvester-Special geschaffen.

Lilja: Mit fällt das Singen auf Englisch leichter, aber man muss mehr in die Lieder reinlegen, damit die Emotionen beim Publikum ankommen. Bei Deutschen Liedern versteht ja jeder mit dem Text die Aussage des Liedes. Aber es fühlt sich mehr nach Ruth an, wenn ich auf Deutsch singe.

Nils: Es macht halt immer etwas aus wie gut man die Sprache spricht, in der man singt, um Feinheiten und Variationen in die Interpretationen zu bringen.

Tilla & Ruth Löwenstein in New York, 2017

Katalina: Tilla und Ruth haben über die Jahre hin weg für jede Menge Gänsehautmomente gesorgt, aber auch für einige herzhafte Lacher. Was waren eure persönlichen Lieblingsmomente?

Lilja: Unvergessen bleibt die Premiere von LILA, als wir gemerkt haben, dass der Abend funktioniert. Generell aber die vielen Gespräche nach den beiden ersten Abenden, wenn man mitkriegt wie aktuell die Themen (leider) immer noch sind.

Nils: Ich liebe immer noch das offene Ende von „LILA“ (keine Spoiler) aber ansonsten sind es tatsächlich die spontanen Interaktionen mit unserem Publikum die mich am meisten berührt und gefreut haben.

 

Katalina: Die LGBTQIA+-Community ist momentan so stark im kulturellen Mainstream vertreten wie noch nie zuvor. Serien wie „Pose“, Realityshows wie „RuPaul’s Drag Race“ und Filme wie „Moonlight“ räumen massenhaft Preise ab und werden auch vom nicht-queeren Publikum mit Begeisterung angenommen. Warum glaubt ihr spricht diese Thematik aktuell so viele Menschen an?

Nils: Ich glaube das Thema hätte schon längst mehr Leute angesprochen, nur bisher war einfach nicht die Akzeptanz in der Bevölkerung gegeben. Es hat sich in den letzten Jahren viel entwickelt - seit die ersten Steine im Stonewall Inn geflogen sind. Die Community hat vieles erreicht, aber immer noch sind wir nicht komplett angekommen. Ich denke aber, das Interesse an queren Themen ist inzwischen höher, weil es den Hauch des Exotischen oder Anrüchigen verloren hat.

 

Katalina: Und zu guter Letzt: Was halten die nächsten zehn Jahre für Tilla und Ruth bereit?

Nils: Ich hoffe noch einiges. Tilla und Ruths Geschichte kann durchaus noch weitererzählt werden  da die Geschichte der 60-80er Jahre sehr spannend war und auch die Musik dieser Zeit viel Material bietet. Ausserdem sind diese beiden Figuren auch, und das darf man nicht vergessen, gute Entertainer  und somit für ein Showkonzept prima geeignet. Es wird also aufregend.

Lilja: Wir haben gelernt: 10 Jahre sind 40 Jahre Tilla. Also bereiten sie sich wohl irgendwann gemeinsam auf den Ruhestand vor. Ich würde aber sehr gerne auch noch mal die ersten zwei Tilla-Programme neu aufleben lassen, da werde ich auch oft nach gefragt. Es ist auf jeden Fall noch nicht Schluss mit Tilla und Ruth.