Theater Narrenschiff

Judith Binias

15 Jahre - 15 Fragen . Das tn-Ensemble interviewt sich.

André Decker hat seine langjährige "Partnerin in Crime" Judith Binias für euch interviewt. Judith kam noch in ihrer Schulzeit ins narrenschiff und hat seit dem in über 40 Produktionen mitgespielt, über 20 Regieassitzenen übernommen, 10 eigene Stücke inszeniert und hat in jedem Tanztheater eine trage Rolle gespielt. Seit 2010 ist Judith auch im Vorstand des Theaters und ist neben André massgeblich für unsere kontinuierliche Theaterarbeit in Unna mit verantwortlich. Für diese Spielzeit haben Judith und André die Bearbeitung für A CHRISTMAS CAROL zusammen geschrieben und knüpfen da an viele Stück- Bearbeitungen an, die sie im lauf der letzten 14 Jahre gemeinsam verfasst haben.

Judith Binias . Ensemblemitglied seit 2004

"Theater ist wie ein Kaleidoskop. Und es hat viele Facetten und Farben, die in mir sind, hervorgetan."

André: Liebe Judith, jetzt feiern wir unsere 15. Spielzeit. Unglaublich, wie schnell die Zeit vergeht! Du bist ja schon fast von Anfang an dabei gewesen. Und warst damals noch sehr jung!Kannst du dich noch an deinen ersten Tag im Narrenschiff erinnern?

Judith: Das erste Stück, das ich damals noch als Zuschauerin gesehen habe, war „Politisch korrekt?! - oder das letzte Abendmahl“; als ich dann das damalige Ensemble von „Das Bacchanal“ nach einer Aufführung kennengelernt habe, wurde grad darüber diskutiert, ob es „die übrig gebliebenen“ oder „die Übriggebliebenen“ hieß. Ich kann mich daran erinnern, dass ich super nervös war und so eine Vorahnung hatte, dass sich hier etwas ganz wichtiges und besonderes ereignet. Ich würde sagen, dass mich der Theaterzauber direkt erfüllt hat.

André: Wie hat sich dein Leben seitdem verändert?

Judith: Kurz: grundlegend. Ich habe ich sehr wichtige Jahre im tn verbracht. Meine Sicht auf die Welt hat sich durch die Stücke und die Art wie sie inszeniert werden und mit wem, sehr geändert und erweitert. Theater ist wie ein Kaleidoskop. Und es hat viele Facetten und Farben, die in mir sind, hervorgetan. Das hat sich bis heute nicht geändert und mit jedem Stück wächst und verändert sich etwas.

André: Du hast neben dem Spiel auch recht früh schon Regieassistenzen bei mir übernommen, weißt du noch, was deine Erste war? Wie hast du das damals erfahren?

Judith: Mit „Gefährliche Liebschaften“ hat damals alles angefangen. Das war noch vor meinem Abi und ich dachte so bei mir: „Wow…was du hier alles lernst, das du in der Schule niemals erfahren hättest..“ ….

André: Und dann hast du ja auch schon recht früh selbst Regie geführt. Deine erste Produktion, für die du den Text ja auch selbst geschrieben hast, war „STYX- Im Fluss zwischen zwei Welten“. Wie war das für dich?

Judith: Aufregend! Ich war sehr nervös. Ich hatte aber ein ganz fantastisches Ensemble mit Silvia, Marco und dir. Selbst geschrieben Stücke zu inszenieren ist einfach sehr besonders. Kritik am Spiel und Text fühlen sich dann sehr persönlich an und man macht sich sehr verletzbar dadurch, dass man einen Teil von sich sichtbar macht.

André: Du hast seitdem aber noch viel mehr Texte verfasst. Neben Gedichten/Lyirk, die ja auch schon auf der tn-Bühne inszeniert wurden, hast du auch noch andere Theaterstücke, Stückbearbeitungen und auch Kindertheaterstücke verfasst. Was reizt dich am Schreiben?

Judith: Die Möglichkeit, eine Perspektive zu beschreiben. Lyrik beispielsweise ist ein mikroskopischer Ausschnitt eines Momentes ausgedehnt zu einem Blickwinkel - um es poetisch auszudrücken. Schreiben beruhigt und inspiriert mich gleichzeitig. Ich mag einfach Worte, wie sie sich anfühlen und welche Wirkung sie haben. Das hat viel vom Tanzen.

André: Deine Kindertheaterstücke/Musicals werden regelmässig in Neuss im TAS aufgeführt. Deine Schwester hat dabei Regiegeführt. Was glaubst du ist der Unterschied zwischen „Erwachsenentheater“ und Kindertheater? Und fällt es dir schwer, wenn jemand anderes dein Stück inszeniert?

Judith: Zunächst muss man auf seine Wortwahl achten! Ich möchte ungern dafür verantwortlich sein, dass ein Kind lernt, wie ein Seemann zu fluchen - oder schlimmer! Es ist ein Spagat, weil ich eigentlich mehr von Autoren wie Sarah Kane inspiriert bin, die so ganz und gar nicht jugendfrei ist. Zudem ist es herausfordernd, Kinder und Erwachsene, die ja ihre Kids (die Musicals sind für Menschen ab 3 Jahren) begleiten, gleichermaßen abzuholen.
Prinzipiell ist es nicht schwer, weil ich auch nicht jeden meine Stücke inszenieren lasse. Da achte ich schon drauf, weil es mir wichtig ist, dass Aussagen nicht verwässert werden. Aber wenn man ein Stück in die Hände einer Regisseurin/eines Regisseurs legt, muss man auch loslassen können, damit sie/er auch seine Vision davon entwickeln kann.

André: Aber neben dem Schauspiel solltest du bei unserem Publikum wohl vor allem auch als Tänzerin auf unserer Bühne bekannt sein. Ich weiß, wie lieb dir das Tanzen ist. Ich glaube man kann sogar sagen, dass du lieber tanzt als spielst. Warum ist das so? Und kannst du dich noch an eine besonders intensive/schöne Situation erinnern, in einem unserer Tanztheater?

Judith: Ach, das Tanze….Ich denke da selbst oft drüber nach; vielleicht ein Stück weit, weil es mir leichter fällt. Mein Körper merkt sich sehr gut Bewegungen und ich liebe es einfach, neues zu entdecken, Möglichkeiten der Bewegung. Tanzen ist immer sehr emotional für mich und ich habe dann das Gefühl, dem Publikum etwas besonderes geben zu dürfen. Ich könnte da nun einen Roman drüber schreiben, aber ich will und soll mich kurz fassen. Aber ganz wichtig sind mir meine MittänzerInnen. Beim Tanzen entsteht eine besondere Energie und Tabus werden gebrochen, Grenzen überschritten. Ich weiß, dass da ein blindes Vertrauen zwischen allen herrscht. Das war bei dem Finale von „Le Sacre du Printemps“ sehr stark zu spüren. Das war definitiv auch eines meiner schönsten Erlebnisse bisher, weil damals damit alles anfing: Du hast mich zu der Aufführung von „Das Frühlingsopfer“ von Pina Bausch in Wuppertal mitgenommen. Die TänzerInnen und das Gefühl haben mich so gepackt, dass ich wusste „Das MUSS ich auch machen“. Und Jahre später, nach viel Schweiß und Blut, war es dann so weit und es war die pure Eskalation! 

André: Du hast seit 2004 in über 40 Produktionen auf der Bühne mitgewirkt. Was war bisher deine Lieblingsrolle als Darstellerin und welches der Tanzproduktionen war dir die Liebste?

Judith: Das ist echt schwer, aber: die Rolle des „Puck“ aus „Ein Sommernachtstraum“ würde ich immer wieder spielen! Es macht einfach unheimlich Spaß, ein Fabelwesen zu spielen. „Hitzewelle“ war auch toll, weil ich eine Rolle gespielt habe, die so gar nicht Ich war. Und eine Tanzproduktion möchte ich nicht herausheben. Sie waren alle toll und jede eine besondere Erfahrung.

André: Du hast in deiner tn Laufbahn also erst Regieassistenzen gemacht, dann selbst gespielt, dann hast du für Stücke die Technik gefahren, dann angefangen Stücke zu bearbeiten und zu schreiben und selbst zu inszenieren, dann getanzt und wurdest zu guter letzt in den Vorstand des Theaters gewählt. Puhh, man kann also wirklich von einer Laufbahn sprechen. Offensichtlich hast du ja sehr viel gelernt in den letzten 14 Jahren. Wie hast du diese vielseitige Entwicklung erfahren?

Judith: Intensiv. Herausfordernd und fordernd. Man muss oft Prioritäten setzen. Aber ich würde sagen, dass ich damit die Welt des Theaters in all seinen Facetten von der Pike auf gelernt habe und das ist eine ganz einzigartige Chance!

André: Als Vorstandsmitglied hast du ja auch ganz anderen Aufgaben als die meisten anderen Ensemblemitglieder. Du kümmerst dich ja auch vor allem um die Netzwerkarbeit und sorgst dafür, dass wir überhaupt kontinuierlich so viele unterschiedliche Projekte, auch finanziell, durchführen können. Oftmals übernimmst du dann die Projektleitung, wie z.B. für unser derzeitiges Tanzfestival FRAME II - HellwegTanzProjekt. Also trägst du auch eine Menge Verantwortung. Wie gehst du mit dem Druck um?

Judith: Ich halte mir immer vor Augen, warum und wofür ich das mache. Es ist manchmal wie Zähne ziehen und man kann sich vorstellen, dass man für viele Dinge in der Kultur hart kämpfen muss. Aber ich finde das wichtig und deswegen mache ich das. Außerdem sehe ich ja, was hinterher dabei raus kommt! 

André: Wie wichtig ist dir Kunst in deinem Leben und warum glaubst du, ist sie wichtig für die Welt in der wir leben?

Judith: Sehr wichtig. Ohne Kunst kommt mir das Meiste grau und trivial vor. Dabei muss es nichtmal von Menschen gemachte Kunst sein - sie ist so vielfältig! Und eine Welt ohne Kunst ist für mich keine lebenswerte Welt. Sie ist reflektierend und bildend zugleich, provozierend, beruhigend, unterhaltend, aufdeckend und vieles mehr. Wir brauchen Kunst. Da bin ich mir sicher. 

André: Wir haben in den letzten 15 Jahren fast 100 Produktionen auf unserer Bühne inszeniert. In bestimmt 70-80% warst du davon in irgendeiner Weise involviert. Kannst du da eine oder zwei hervorheben, die besonders bedeutend für dich waren?

Judith: Puh…nein. Jedesmal wenn ich denke „Das Bacchanal“ kommt da „Hedwig - and the angry Inch“ oder „Ein Blick von der Brücke“ oder „Angels in America“ oder „Ich ein Jud´“ oder…oder….

André: Ich weiß aus erster Hand wie zeitraubend die Arbeit im tn und in der Kulturszene generell ist. Was machst du, wenn wir grade mal nicht „die Welt retten müssen“? Was ist dir neben der Kunst wichtig im Leben?

Judith: „Du sollst keinen Gott neben der Kunst haben“; aber kurz gesagt: die Welt zu retten. Natur, Yoga, Hunde…so…Hippiekram eben...

André: Ich weiß wie sehr du das geschrieben Wort schätzt. Hast du ein Lieblingszitat aus einem Stück, dass du gespielt hast? Oder generell aus einem literarischen Werk?

Judith: „Selbst der Kleinste vermag den Lauf des Schicksals zu verändern“ - aus „Herr der Ringe“. 

André: Mir fallen noch tausend weitere Fragen ein, die ich dir Stellen könnte. Aber zum Schluss möchte ich mich gerne für deine treue und wunderbare Arbeit bedanken, die du mit mir und unserem ganzen Ensemble über die Jahre geleistet hast. Das tn wäre nicht das, was es ist ohne dich! Aber was ist es, was das tn für dich bedeutet, dass du so viel Zeit und Kraft darin investierst?

Judith: Das Narrenschiff war und ist noch immer für mich eine Art Schule, Spielplatz und sicherer Hafen. Ein bisschen Hogwarts trifft Folkwang. Es hat mich wirklich aufgefangen, als ich nicht wusste wohin mit mir und das möchte ich nun auch für die, die noch kommen, erhalten. Aber ich bin auch 100%ig von der Kunst, die hier gemacht wird und den Talenten, die hier aktiv sind, überzeugt und halte sie für sehr wichtig! Nicht nur, was die Stücke betrifft, sondern auch die Art, wie sie inszeniert und produziert werden.

Interview, Sommer 2017