Theater Narrenschiff

Kathrin Bolle

15 Jahre – 15 Fragen . Das tn-Ensemble interviewt sich

 

André Decker hat Kathrin Bolle für euch interviewt. Kathrin ist als Gründungsmitglied des jungen Ensembles bloßgestellt ins narrenschiff gekommen und hat in HOTEL TARANTINO erstmals als Mia Wallace auf der tn Bühne gestanden. Seit dem hat Kathrin fast in 30 Produktionen mitgespielt und mit vielen Hauptrollen, wie Lady Macbeth, Beatrice in VIEL LÄRM UM NICHTS oder Maggie in DIE KATZE AUF DEM HEISSEN BLECHDACH für unvergessliche narrenschiff-Performances gesorgt!

Kathrin Bolle . Ensemblemitglied seit 2007

 

Wir sind miteinander gewachsen.“

André:   Liebe Kathrin, 15 Jahre theater narrenschiff, was fällt dir als erstes ein?


Kathrin:   Dass es eine der besten Entscheidungen meines Lebens war, vor 10 Jahren den Mut zu fassen die große, rote Eisentür zu öffnen und den ersten Schritt ins Narrenschiff zu setzen. Unfassbar - so viele Jahre schon.

 

André:   Du bist studierte Grafikerin und arbeitest Vollzeit in deinem Beruf. Oft hast du nach einem 9 Stunden Arbeitstag noch 4 Stunden Probe. Und das, in Probenphasen oft wochenlang. Man könnte fast fragen „Warum tust du dir das an?“ Wie erfährst du diese Doppelbelastung?


Kathrin:   Ich weiß nicht was es genau ist, aber ich bin süchtig danach. Aber ab und an müssen dann auch Spielpausen sein, denn ein Ausgleich, ist es für mich nicht wirklich. Natürlich ist es was anderes als stundenlang am Computer zu sitzen. Dennoch gehe ich nach 9 Stunden kreativer Arbeit vom Büro in die Probe, um dort kreativ weiter zu arbeiten. Wenn man dann abends im Bett liegt, weiß der Kopf definitiv, was er den ganzen Tag geleistet hat. Da muss man seinem Körper ab und an Erholung gönnen.  

 

André:   Wie schaffst du es Freundschaften zu pflegen, neben Beruf, Familie und Theater?

Kathrin:   Das ist nicht so einfach. Mit der Zusage einer Theaterproduktion sagt man gleichzeitig viele andere Dinge ab. Was will man machen, wenn ein Auftritt oder wichtiger Probentag auf den Geburtstag der Mutter oder auf die große Party mit all deinen Freunden fällt?! Das ist dann so. Ich bin immer die, die überall erst später auftaucht, oder absagt. 

Grade in meinen ersten tn Jahren hatte ich Angst, dass man mir das übelnimmt. Glücklicherweise habe ich wunderbare Menschen um mich, die schätzen was wir im tn auf die Beine stellen und es dann eher bewundern, wenn ich es schaffen, dann doch noch aufzukreuzen. Planung ist auf jeden Fall alles! 

 

André:   Du hast viele verschiedene Rollen bei uns gespielt. Gibt es eine, die eine Seite von dir verlangt hat, die für dich völlig neu oder fremd war?

Kathrin:   Auf jeden Fall! Sicher nicht nur eine, aber als erstes kommt mir Lady Macbeth in den Sinn. So ein durchtriebenes, kaltblütiges Weib – das hat so Bock gemacht! Aber auch gefordert. Damals war ich ein paar Jährchen jünger und damit eher eine ungewöhnliche Besetzung der Lady Macbeth. Das war natürlich ein großes Kompliment, dass Kirsten Ulrich-Klostermann, als Regisseurin, mir das zugetraut hat. Das war so eine Bandbreite an Gefühlen, von Kaltblütigkeit, Missgunst, Rachsucht, Paranoia zu Wahnsinn, die ich einfach so aus meinem eigenen Erfahrungspool nicht greifen konnte. Und das verpackt in diese kraftvollen Texte, so voller Energie und starken Bildern- das fand ich extrem spannend. Der kann schon was dieser Shakespeare.

 

André:   Du hast von 2005 bis heute in fast 30 Produktionen mitgespielt. Hast du ein Lieblingsstück, das du nennen kennst?

 

Kathrin:   Also wenn ich grad so von Macbeth erzähle, das war schon verdammt cool, da unten im Lichtkunstmuseum. Das Publikum lief von Raum zu Raum, von einer Szene in die Nächste und irgendwann stand ich da - mit meiner pechschwarzen Seele, im kunstvoll beleuchtenden Kellerraum und lasse leise meine Kinderspieluhr erklingen. Das war mega! Aber da gibt es so viele Lieblingsmomente. HITZEWELLE war wunderbar verrückt. TITUS ANDRONICUS, habe ich geliebt! Oder DAS BACCHANAL! Ach André, es gibt so viele Lieblinsstücke!

 

André:   Was schätzt du an unserem Theater am meisten?

 

Die Vielfalt, das Gefühl von Zuhause, die Möglichkeit alles zu probieren und den Zusammenhalt. Die Liebe und den Mut und von sich selbst viel preiszugeben. Das ist in einem kleinen Theater wie dem Unseren nicht selbstverständlich. Was für den Fremden vielleicht die Kleinstadtbühne ist, ist für uns ab und an die ganz große Welt.

 

André:   Du hast auch schon in einigen Musikvideos, Werbespots und Filmen mitgespielt. Was findest du, ist der Unterschied zwischen Film und Theater für dich als Darstellerin?

 

Kathrin:   Beim Theater ist es so, dass ich etwas einstudiere und erst wenn alles sitzt, stell ich mich vor das Publikum. Mal ist man überzeugter, mal weniger, von dem was man da tut, aber man weiß ziemlich genau, was auf einen zukommt, wenn man da jetzt rausgeht.

Beim Film ist das ganz anders. Das fühlt sich schon mal an wie eine öffentliche Probe. Die Filmcrew, laufende Kameras und alle anderen Schauspieler um dich herum, dann folgt das „Und bitte!“ und du musst auf Knopfdruck funktionieren. Da muss man seine Scham ablegen und etwas in Gesellschaft probieren, was man vielleicht lieber erstmal nicht vor Publikum gezeigt hätte. Mich reizt das aber total! 

 

André:   Wir beide sind ja Serienjunkies. Holst du dir da manchmal auch Inspirationen für Rollen, bei so einem Couchmarathon?

 

Kathrin:   Als ich Tamora in TITUS ANDRONICUS gespielt habe, kann ich nicht leugnen, dass ich da ab und an Cersei Lannister aus GAME OF THRONES vor Augen hatte. Das ist dann natürlich keine komplette Kopie einer Figur. Manchmal sind es kleine Details, was ein Schauspieler mit den Händen macht oder ein bestimmter Blick, was einem Helfen kann, seine eigene Figur zu formen.

 

André:   Guckst du dir auch mal etwas von deinen TN-Kollegen ab?

Kathrin:   Auf jeden Fall! Ich saug immer alles auf was meine Ensemblefreunde da so raus hauen. Alle haben ihre eigenen Facetten, etwas in dem sie besonders gut sind- und dann beobachte ich genau und speichere alles ab. Sofia, Nils, Lilja zum Beispiel, bewundere ich sehr für ihre Gesangs- & Performancekünste und sehe sie da nach wie vor als Vorbilder. Da kann ich mir noch eine Menge abgucken. Ich glaube nur so sind wir alle auf das Level gekommen, auf dem wir jetzt sind. Wir sind miteinander gewachsen.

 

André:   Spielst du generell lieber in Dramen oder Komödien?

 

Kathrin:   Also das Komödiantische geht mir recht leicht von der Hand und macht mir einfach Spaß. Auch und vor allem in den Proben. Es gab da so einige Szenen die wir bis zu Generalprobe nicht ohne Lachanfall über die Bühne gekriegt haben. Eine Sekunde zu lang in die Augen geschaut und schon war es wieder vorbei. Aber wir kennen und mögen uns auch schon so lang, da ist es manchmal einfach schwer den ernsten Blick zu halten. Macht dann aber umso mehr Spaß!
Das soll jetzt aber nicht heißen, dass ich nicht gern Dramen spiele. Die Probensituation ist einfach eine andere, wenn man ein tragisches oder melancholisches Stück, wie zum Beispiel DIE MÖWE, von Tschechow spielt. Da habe ich, in meiner Rolle, meinen Sohn durch Selbstsucht und fehlende Mutterliebe in den Selbstmord getrieben. So etwas nimmt man dann nach der Probe auch irgendwie mit nach Hause. Es beschäftigt einen mehr. Aber man lernt dadurch auch immer viel über sich selbst.

 

André:   Es gibt viele Gründe warum wir auf der Bühne stehen. Nenn mal einen, der dich kurz bevor die Vorstellung beginnt motiviert.


Kathrin:   Mein Ziel ist immer die Erwartung der Zuschauer zu übertreffen. 

 

 

André:  Wir haben in den letzten 15 Jahren sehr viele Shakespearestücke inszeniert, in denen du oft tragende Rollen gespielt hast. Weißt du noch einen Satz, oder eine Passage, die du besonders gern gesagt hast?

 

Kathrin:   „Kommt her, ihr Geister,

die ihr den Mordgedanken dient, löscht aus,

was an mir Frau ist, und füllt mich völlig aus

vom Scheitel bis zum Zeh mit Grausamkeit,

der kältesten.“ (Lady Macbeth)

 

André:   Wie sieht für dich ein idealer Vorstellungstag aus? Wie verbringst du den?


Kathrin:   Entspannt. Ich versuche immer das zu machen, was mich am wenigstens anstrengt, um alles an Kraft für den Auftritt zu sparen. Mal heißt das spätes Frühstück mit Netflix oder auch mal die Badewanne und Online-Shopping. Selten verlasse ich das Haus, denn in Zeiten einer laufenden Produktion bin ich immer froh, wenn ich meine Wohnung mal richtig bewohnen kann. 

 

André:   Findest du, dass man persönliche Probleme oder Konfliktsituationen im Alltag durch das Theaterspielen relativieren kann?


Kathrin:   Wie grad schon mal angedeutet, finde ich man lernt sehr viel über sich selbst beim spielen und wird sicherlich auch viel empathischer, da man sich so viel mit den Gefühlen und Beweggründen der verschiedenen Figuren auseinandersetzt. Ich glaube es bleibt nicht aus, dass man da manchmal ein bisschen zum Hobbypsychologen mutiert.

 

André:   Und hast du etwas durch das Theaterspielen fürs Leben gelernt?


Kathrin:   Ja. In Zeiten, in denen ich selbst noch nicht wusste, wo mein Weg hingehen soll, da hat mir das Theater vor allem geholfen Selbstvertrauen zu gewinnen. Komme was wolle: so ein Theaterstück, das zieht man durch bis zum Ende! Wenn man sich auch mal verspricht, wenn mal ein Scheinwerfer von der Decke oder dein Spielpartner umfällt. Du hast die ganze Zeit das Ziel vor Augen und gibst alles bis zum Schluss. Hast du das geschafft, wächst dein Vertrauen. Und was auch immer gerade an anderen Stellen schief läuft, wächst die Zuversicht: du bist doch stark, du kannst das schaffen.

Interview, Sommer 2017