Theater Narrenschiff

24/10/18

Ein Blick hinter die Kulissen von WER HAT ANGST VOR Virginia Woolf...?

Seit Mitte September probt das Team um Regisseur André Decker an Edward Albees legendärem WER HAT ANGST VOR VIRGINIA WOOLF…?. Kommendes Wochenende steht die Premiere ins Haus und mit ihr unsere Spielzeiteröffnung.

Jetzt ist also die beste Zeit, euch ein paar Einblicke hinter die Kulissen zu geben.

Die anfänglich größte Herausforderung war für alle Darsteller*innen die Masse des Textes. Albees Kammerspiel ist ein regelrechtes Feuerwerk an Wortgefechten. Das bedeutet allerdings auch, dass der komplette Text auf nur vier Darsteller aufgeteilt ist.

André Decker: „Wir haben das Stück strikt chronologisch geprobt. Es passieren in jeder kleinen Szene Anspielungen, die sich auf irgendetwas bezieht, was noch kommt, oder gerade passiert ist. Da macht es keinen Sinn, die Masse an Text durcheinander zu proben. Sonst hätten wir uns sicherlich unterwegs verloren. Die Devise war also „Eins nach dem Anderen“, was manchmal auch entmutigend war. Vor allem am Anfang, wenn man bei einem „Quelle-Katalog“ auf Seite 20 ist und noch gefühlte 3000 Seiten vor sich hat. Außerdem muss man sich dann an einen strikten Zeitplan halten und das tägliche Pensum abarbeiten, dass man am Schluss nicht dumm da steht. Aber ich glaube, das war sicherlich der sinnvollste Weg.“

Das Stück wurde Anfang der 1960er Jahre geschrieben und in Andrés Inszenierung spielt die Handlung ebenfalls dieser Zeit. Das spiegelt sich nicht nur in den Kostümen und im Bühnenbild wider...

...sondern auch in der Sprache und den gesellschaftlichen Ansichtsweisen der 60er.

Albees gesamtes Stück spielt in nur einem Raum, dem realistischen Wohnzimmer der Gastgeber, einem Professoren-Ehepaar.

André Decker: „Mir war es sehr wichtig, einen Bühnenraum zu schaffen, der so wirkt, als würde da auch jemand wohnen können. Also der auch zeitgemäß wie ein Wohnzimmer in den 1960er in Neuengland aussieht, oder daran angelehnt ist. Aber wenn man dann näher hinguckt, merkt man, dass Martha und George dort schon seit 20 Jahren leben und sich ihre Möbel vielleicht bereits in den 40ern gekauft haben. So wird das Ganze noch etwas komplizierter.“

Auch die Kostüme vervollständigen den Look. Das Kostüm ist für Schauspieler ein wichtiger Teil der Rolle. Katalina Kopka, die Honey unserer Produktion, nutzt ihr Kostüm, als persönliche Zeitmaschine.

Katalina Kopka: „Mein Kostüm hilft mir total, mich in meine Rolle und die Zeit hineinzuversetzen. Erstmal sieht es ja ganz reizend aus, mit viel Tüll und sehr fluffig. Aber je mehr man darin spielt, desto mehr merkt man, dass es mit seinem steifen Stoff und seinen ganzen Lagen eigentlich schon fast wie ein Gefängnis ist: man verheddert sich, bleibt irgendwo hängen, es schränkt einen in den Bewegungen ein. Es sieht toll aus, aber praktisch ist es nicht. Für mich ist dieses Kleid ein Sinnbild für die eingeschränkte Rolle der Frau in 60er-Jahren.“

Kathrin Bolle, unsere Martha-Darstellerin, muss für das Stück knapp 20 Jahre altern. Auch ihr helfen Kostüm und Perücke bei ihrem Spiel.

Kathrin Bolle: „Natürlich helfen mir Kleidung und Perücke sehr dabei, mich besser in meine Rolle einzufinden. Martha ist schon ein paar Jahre älter als ich, und auch wenn ich mittlerweile schon ein, zwei Mal in die Rollen etwas reiferer Damen schlüpfen durfte (bspw. Arkadina in Tschechows DIE MÖWE), bleibt es für mich eine große Herausforderung, diesen Altersunterschied überzeugend darzustellen. Und damit meine ich nicht nur, mein Äußeres zu verändern, sondern auch die Art, sich zu bewegen, zu sprechen, oder auch zu fühlen. Da hilft es mir in diesem Fall natürlich sehr, wenn die äußerliche Verwandlung etwas größer ausfällt.“

Für Kathrin Bolle ist diese Inszenierung eine ganz besondere Erfahrung. Sie spielte bereits 2008 in der tn-Fassung von WER HAT ANGST VOR VIRGINIA WOOLF…? mit, damals allerdings als das kleine Mäuschen Honey und nicht als die reife Martha.

Kathrin Bolle: „Honey war eine meine ersten Rollen im theater narrenschiff. Mir kommt es fast vor, als wäre es ein völlig neues, unbekanntes Stück, das wir jetzt spielen. Nicht nur durch die Inszenierung, die neue Besetzung, sondern weil ich die Geschichte jetzt aus einem ganz anderen Blickwinkel erlebe. Als narrenschiff-Küken konnte ich die Vorstellungen vor lauter Lampenfieber sicher auch nicht so genießen, wie es mir vielleicht jetzt nach 13 Jahren Theatererfahrung möglich ist.“

Das Spiel mit vier Darsteller*innen, die fast immer alle auf der Bühne sind, ist intensiv – besonders für André Decker, der nicht nur George verkörpert, sondern auch parallel Regie führt.

André Decker: „Gott sei‘s gedankt, dass wir Anna haben, unsere wunderbare Regieassistenz! Ohne Anna wäre ich komplett aufgeschmissen, da ich nicht zeitgleich auf der Bühne und vor der Bühne sein kann. Das habe ich zwar schon häufiger gemacht, aber nicht derart extrem. Es gibt wirklich sehr wenig Momente, in denen ich nicht auf der Bühne stehe. Und wir proben fast täglich, im Schnitt sechs Stunden. Aber dank Anna und einiger Probenvideos kriege ich dann doch alles mit, was um mich rum passiert. Es ist zwar sehr intensiv, aber auch ganz wunderbar!“

Bei solch einem Probenpensum könnte man meinen, dass schlechte Stimmung vorprogrammiert ist. Doch die konzentrierte Arbeit mit einem kleinen Ensemble war für alle Darsteller eine durchweg positive Erfahrung.

Kim Schütt: „Der Vorteil bei einen so kleinen Team ist, dass man sich sehr aufeinander einstellen kann und auch auf die Sorgen und Nöte der anderen eingehen kann. Das Stück fordert uns ja alle und wir kommen da oft an unsere Grenzen, die wir dann gemeinsam überwinden. In WER HAT ANGST VOR VIRGINIA WOOLF…? müssen die Figuren 'ne Menge einstecken, aber dafür teilen sie auch ordentlich aus. Da hilft es sicherlich auch, dass wir uns alle so gut verstehen.“

Die Handlung und Darstellung verlangt viel von den Darstellern ab, weshalb ein gewisses Maß an Vertrauen die Grundvoraussetzung ist, dass überhaupt geprobt werden kann.

In den Proben eines so fordernden Stückes wächst das Ensemble schnell zusammen und bildet eine starke Einheit.

Katalina Kopka: „Ich habe noch nie in so einer emotionalen und anstrengenden Produktion mitgewirkt, da ich bisher meistens in Komödien am tn zu sehen war. Für mich war das eine unglaublich bereichernde Erfahrung, am eigenen Leib mitzuerleben, wie man gemeinsam als Gruppe dieses Mammutprojekt stemmen kann. Auch wenn es auf der Bühne oft kracht, war es hinter den Kulissen echt harmonisch. Wir sind alle sehr achtsam und liebevoll miteinander umgegangen, wir waren ein kleiner ‚circle of trust.‘ Diese schöne Zeit mit der Ensemble-Familie wird mir auf jeden Fall nach Ende der Proben sehr fehlen!“

In wenigen Tagen steht dann schon die Premiere vor der Tür. Aktuell arbeiten immer noch alle auf Hochtouren, verfeinern und festigen, was das Zeug hält. So entsteht in der Endprobenwoche der Feinschliff am Stück.

André Decker:„Fertig wird man nie. Man kann immer weiter an allem Arbeiten. Aber irgendwann hört man damit auf, man lässt es in Ruhe und spielt es. Dieser Tag heißt für gewöhnlich Premiere.“

Von dem Resultat könnt ihr euch ab dem 27. Oktober selbst überzeugen. Alle Termine und Infos findet ihr hier.